Ent-Negativierung des Menschen

Wahrnehmung/Denken unter emotionalem Einfluss

 

Es ist fundamental wichtig, zu verstehen, wie die Emotionen unsere Wahrnehmung, unser Denken und entsprechend auch unsere Einschätzungen und Urteile beeinflussen. Wenn ein Mensch sich des Einflusses der Emotionen auf sein Denken, sein Wahrnehmen und sein Verhalten nicht bewusst ist, so ist er leicht ein Getriebener seiner Emotionen. Das, was wir als unbewußte Kräfte, Impulse oder Triebe bezeichnen, ist in Wahrheit die emotionale Reaktivität von Wut, Angst, Traurigkeit und Freude, die als emotionale Schaltkreise subkortikal das Denken, die Wahrnehmung und auch das Verhalten vorstrukturieren. Diese schnellen Schaltkreise reagieren, bevor wir sie mit unserem Großhirn durchdenken und beeinflussen können. Je besser wir uns jedoch mit diesen Reaktionen auskennen, umso schneller und gezielter können wir moderierend eingreifen.
Betrachten wir den Einfluss der vier Emotionen im Einzelnen.

In einem freudigen Körperzustand sieht ein Mensch mehr die Möglichkeiten und was es alles an schönem im Leben gibt. Die Wahrnehmung geht in die Breite und in die Weite und ein Mensch ist offen. Durch den Zustand der muskulären Beweglichkeit entsteht der Eindruck der Leichtigkeit, und ein Mensch sieht sich eher in der Lage, mit Dingen und/oder Menschen erfolgreich umgehen zu können. Wenn ein Mensch diesen Zustand der Freude nicht kennt und fast nie hat, so kann es sein, dass er von dem Zustand der Freude mitgerissen und getrieben wird, wenn es tatsächlich einmal einen Grund zu großer Freude gibt. Eine unverankerte – also nicht bewusste Freude – kann dahin führen, dass ein Mensch leichtfertig und übermütig übertreibt, sich über die Maßen öffnet und seine Möglichkeiten übersteigert einschätzt.

Wenn ein Mensch solchermaßen bewegt ist und außerdem auch wütend aus bisherigen Begrenzungen ausbricht, so wird dies leicht von seinem Umfeld als krankhafte Abweichung – als Manie – eingestuft. Wenn der Betroffene durch die große Aktiviertheit – durch Freude und/oder Wut – nicht zur Ruhe kommt, so bekommt er zu wenig Schlaf, und dies führt auf Dauer zu weiteren Wahrnehmungsveränderungen. Wenn ein Mensch jedoch angeleitet wird, seine Freude und seine Wut zu verankern und auch zu entschärfen, so lernt er seinen eigenen Zustand zu regulieren, kann auch wieder zur Ruhe kommen und nimmt Abstand von der übertriebenen Distanzierung in der unverankerten Wut oder der übertriebenen Offenheit der unverankerten Freude.

Im Zustand der Angst wird die Wahrnehmung eines Menschen verengt, und es werden leichter Bedrohlichkeiten entdeckt. Auch das Denken und die Vorstellungen drehen sich um das Ängstigende. Egal, was der Grund für Hilflosigkeit und in der Folge Angst ist, im körperlichen Zustand der Angst wird alles bedrohlicher gesehen. Das führt auch dahin, dass Menschen meinen, andere würden sie beobachten, etwas gegen sie im Schilde führen oder sie gar verfolgen („Verfolgungswahn” bzw. Paranoia). Vorstellungen und Gedanken, die vom körperlichen Zustand der Angst untermalt sind, wirken dadurch sehr real. Die Betroffenen meinen, weil sie die Angst spüren, dass tatsächlich eine Gefahr bestünde. Das ist natürlich eine falsche Schlussfolgerung, die aber von den Personen so getroffen wird, die sich mit ihrer ängstlichen Befindlichkeit nicht auskennen.

Durch die wütende Gestimmtheit bewegen sich Denken und Wahrnehmung in Richtung von einfachen und dichotomen Kategorien, wie die von schwarz-weiß oder Freund-Feind. Urteile und Einschätzungen werden dadurch übertrieben, einseitig und leicht ungerecht. Aus der Wut heraus wird schnell die Schuld bzw. Ursache bei anderen Menschen gesehen, da der Wütende im Außen etwas angreifen und verändern möchte und nicht bei sich selbst. Die Verengung der Wut bewirkt außerdem eine Unbeweglichkeit, und die Argumentation eines Menschen tendiert zum Widerspruch und zur Unversöhnlichkeit. Wer sich mit der Wirkung der Wut auf Wahrnehmung, Denken und Verhalten nicht auskennt, der betrachtet z. B. leicht seine Einschätzungen, Vorwürfe und auch seine eigene Kälte und Distanzierung als eine notwendige Reaktion auf einen anderen Menschen, die genau so angemessen ist und die der andere auch so verdient hat. Wer nicht weiß, wie extrem die Wut unseren Blick auf die Welt und unser Verhalten auslenkt, wird diese Ungenauigkeit seiner Wahrnehmung und seiner Urteile auch nicht relativieren. Im schlimmsten Fall wertet ein solcher Mensch andere Menschen ab und ist der Überzeugung, dies sei richtig. Was folgt, ist Beziehungsbruch und Beziehungslosigkeit. Ein Mensch, der beständig wütend gestimmt ist, sieht sich außerdem eher unabhängig und negiert eventuell sogar, überhaupt etwas zu brauchen. Diese fehlerhafte Selbsteinschätzung ergibt sich aus dem angespannten hartnackigen Körperzustand.

Umgekehrt ergibt sich aus dem erschlafften und damit weichen Körperzustand der Traurigkeit die erhöhte Wahrscheinlichkeit, auch die eigene Bedürftigkeit zu sehen und zu betonen. Natürlich sagt einem der erschlaffte, und damit weiche und schwere Körperzustand der Traurigkeit, nicht, was man braucht. Was man zwischenmenschlich braucht, muss man wissen, dann kann man auch den Bezug zur eigenen traurigen Reaktion herstellen. Das Wissen um das, was man braucht, ist bei einigen Menschen ein implizites bzw. vorbewusstes Wissen. Um ein implizites Wissen um das zu haben, was man braucht, ist es erforderlich, dass man zumindest rudimentäre Erfahrungen gemacht hat, wie es ist, gesehen, verstanden und wertgeschätzt zu werden. Unter dem impliziten Wissen gibt es eine traurige körperliche Reaktion, jedoch noch keine klare Bewusstheit, mit der ein Mensch den Zusammenhang seiner eigenen traurigen Reaktion herstellen kann. Der Begriff des Vorbewusstseins, oder auch des impliziten Wissens, ist exakter als der irreführende und zu wilden Spekulationen führende Begriff des „Unbewussten”.