Warum helfen immer mehr Deutsche den Flüchtlingen und was fühlen sie dabei ?

Ist das ein kurzer nationaler Gefühlstaumel, lediglich eine Gefühlsansteckung, echtes Mit-Gefühl oder gar Empathie?

(Und: Was für eine Gefühlskultur haben die Flüchtlinge von uns zu erwarten?)

Die meisten verfolgen es in den Nachrichten und viele belesen sich dazu in Zeitungen, um z.B. zu erfahren, dass Deutschland nun eine „Willkommenskultur“ entwickele. Immer mehr Menschen in Deutschland werden von der Flüchtlingswelle erreicht und müssen sich entscheiden, wie sie sich dazu verhalten. Wie kommt es, dass immer mehr Menschen den Flüchtlingen Nahrung, Spielsachen und überhaupt Verständnis entgegenbringen und manche sogar Obdach geben.
Deutschland ist ein Land der Meinungsfreiheit mit einer mittlerweile guten journalistischen Tradition möglichst alles zu berichten was in der Welt passiert. Dadurch sind immer mehr Menschen besser informiert über Katastrophen und menschliche Schicksale. Es ist diese Informiertheit über das Geschehen in Syrien und die Flüchtlingssituation, die es vielen Deutschen ermöglicht, für diese Menschen Verständnis zu haben. Das Hintergrundwissen öffnet auch die Herzen bzw. die Bereitschaft zum Mitgefühl und zur tatkräftigen Hilfe.
Da in der Presse momentan viel darüber spekuliert wird, ob das nun eine vorübergehende kollektive Gefühlsansteckung des Helfens sei oder eine längerfristige neue Willkommenskultur entstehe, ist es erforderlich, aus psychologischer Sicht einmal zu präzisieren, was der Unterschied zwischen Gefühlsansteckung, Mitgefühl und Empathie ist.
Schon Babys werden von anderen schreienden Babys „angesteckt“ ohne zu erfassen, warum diese Schreien. Genauso die erste Lächelreaktion eines 6 Wochen alten Säuglings ist deshalb eine „einfache“ Reaktion auf eine lächelnde Bezugsperson, weil der Säugling noch nicht die Hintergründe kennt, warum nun gelächelt wird. Eine „Gefühlsansteckung“ ist die einfachste Gefühlsreaktion, die auch schon bei Tieren zu beobachten ist, die sich gegenseitig mit ihrer Angst anstecken. Das hat unmittelbare Überlebensbedeutung. Eine Gefühlsansteckung passiert auch ohne Überdachtheit oder Überlegung. Im Falle der syrischen Flüchtlinge besteht aber bei vielen Deutschen bereits ein Bewusstsein für die dramatischen Gründe und Umstände von deren Flucht. Dadurch reagieren die Menschen nicht nur auf einen armen Flüchtling sondern auf einen armen Flüchtling mit außerdem dramatischen Vorerfahrungen. Diese Information kommt hinzu und so werden wir nicht einfach von dem eventuell traurigen Gefühl dieser Menschen einfach nur angesteckt sondern man kann von Mit-Gefühl und sogar von Emphatie sprechen. Ein Mit-„Gefühl“ beruht neben dem emotionalen Anteil einer körperlichen Bewegtheit außerdem auf einem Wissensanteil und damit einem Vorstellungsanteil, durch den wir uns außerdem in die Perspektive der anderen Person versetzen können. Wir können uns also vorstellen und ausmalen, was diese Flüchtlinge erlebt haben könnten und sie sind eindeutiges Opfer der Brutalität anderer. Auf diese Vorstellung und dieses Wissen – was wir erst durch unsere Informiertheit besitzen – sattelt nun unser emotionales Mitschwingen. Das emotionale Mitschwingen erfordert eine Bereitschaft, der jeweiligen Emotion auch Raum zu geben. Da es nur vier grundlegende körperliche Bewegtheiten gibt, die im Sprachgebrauch als „Emotionen“ bezeichnet werden, können wir der Wut, der Angst, der Traurigkeit oder der Freude eines Gegenübers folgen. Dass wir Mitschwingen setzt voraus, dass wir der jeweiligen Bewegtheit eine Berechtigung zusprechen und dass wir außerdem zu einer entsprechenden emotionalen Bewegtheit überhaupt in der Lage sind. Wenn wir z.B. Wut, Traurigkeit oder Angst an sich ablehnen, so werden wir den Menschen mit der entsprechenden Emotion von vornherein ablehnend begegnen und etwa sagen: „Reg Dich doch nicht so auf“, „Du musst doch nicht ängstlich sein“ oder „Ist doch nicht so schlimm“. Wenn wir selbst gerade in einer eher gereizten Verfassung sind, so wird es auch sehr schwierig, sich mit einem anderen Menschen zu freuen. Die Fähigkeit zur emotionalen Resonanz ist allenfalls als Potenzial angelegt. Inwiefern wir auch mitschwingen hängt von unserer Schwingungsfähigkeit ab und dies erfordert im Grunde vier Schwingungsarten. Leider ist der Mainstream unserer Zeit, zwischen positiven und negativen Gefühlen zu unterscheiden, obwohl es nur vier grundlegende Emotionen gibt, die jede für sich genommen überragende Bedeutungen hat. Wenn ein Mensch aus einer Wut heraus aggressiv wird, so liegt das an der Unbedachtheit des jeweiligen Menschen. An sich sind wir Menschen zu überdachten Reaktionen in der Lage und können unser emotionale Bewegtheit nutzen und bei Bedarf auch entschärfen. Die Wut kann von uns Menschen zu Entschlossenheit und Direktheit kultiviert werden und Menschen lassen sich aber auch unbedacht von der Wut dazu treiben, herumzuschreien und andere Menschen abzuwerten. Umso mehr ein Mensch über Emotionen weiß und je mehr wir über die Flüchtlinge wissen, umso größer wird die Fähigkeit, empathisch zu sein. Wir Menschen können also sehr primitiv gefühlsangesteckt werden, wie das z.B. durch die Hassreden von Hitler geschah und alle in gemeinsamer Wut zusammengeführt wurden oder wir Verstehen und „Sehen“ andere Menschen möglichst hintergründig und haben außerdem eine kritische aber auch entnegativierte Sicht von Wut, Traurigkeit, Angst und Freude. Keine der vier Emotionen ist negativ denn es kommt darauf an, wie wir damit umgehen. In kultivierter Form wird die körperliche Gestimmtheit der Angst zu Sorge, Fürsorge, Sensibilität, Vorsicht und Achtsamkeit. Die Traurigkeit betont unser Brauchen und kann uns durch den körperlichen Zustand von muskulärer Erschlaffung zu Bedächtigkeit, Langsamkeit, Weichheit, Innerlichkeit und Ernsthaftigkeit führen. Wenn die Flüchtlinge von uns Deutschen etwas lernen sollen, so ist es erforderlich, dass wir ihnen ein tieferes emotionales Verstehen ermöglichen und Ihnen nicht das anbieten, was wir fatalerweise vor allem von Amerika annehmen und das ist eine Negativierung von Traurigkeit, Wut und Angst. Wenn wir auch diese Menschen dazu anleiten, was wir selbst immer stärker tun, nämlich das Fühlen in positiv und negativ zu unterscheiden, so werden wir diese Menschen mit dem infizieren, was uns selbst in zunehmender Agonie gefangenhält: der Kampf gegen unsere ureigenste emotionale Ausstattung. Wir Menschen sind an sich perfekt durch unsere Emotionen ausgerüstet um bei Bedarf genügend groß (Wut) oder genügend klein (Angst) zu sein, genügend robust (Wut) oder empfindlich (Angst), bei Bedarf genügend weit und offen (Freude) oder genügend verengt und verschlossen (Angst), bei Bedarf genügend leicht (Freude) oder schwer (Traurigkeit) zu sein. Wenn wir selbst es nicht schaffen, unsere geniale Ausstattung in ihrem Potenzial zu entfalten oder in ihren Gefahren zu entschärfen, so dürfen wir diesen Flüchtlingen kein Vorbild sein. Als Volk der Dichter und Denker haben wir an sich traditionell eine Sympathie mit der Traurigkeit, die auch als Melancholie oder Trauer gewandet erscheint. Immerhin von diesem traurigen Mitfühlen scheint noch viel in Deutschland da zu sein. Darauf können wir stolz sein, wie auch auf unsere Informiertheit, unsere Weltzugewandtheit als Reisebürger und auch auf unsere journalistische Erforschungshaltung. Wenn jedoch nicht damit aufgehört wird, bei jeder Gelegenheit Traurigkeit als Schmerz zu bezeichnen und nur noch darüber zu lamentieren, wie sehr „verletzt“ wir seien oder wie „weh“ etwas tue, so wird durch diese negativen und ungenauen Beschreibungen des körperlichen Zustandes die Bereitschaft, z.B. eine Traurigkeit auch zu spüren, immer geringer. Ein entsprechend trauriges Mit-fühlen dürfte dann auch immer mehr verschwinden. Wenn wir diese Flüchtlinge mit unserer unseligen Unterscheidung von positiven und negativen Gefühlen infizieren, so werden auch diese sehr bald beginnen, Angst, Wut und Traurigkeit nicht mehr haben zu wollen und gegen diese ankämpfen, notfalls mit Psychopharmaka. Die Folgen davon sind dann auch zunehmende „psychische Störungen“ in dieser Bevölkerungsgruppe denn die „Psyche“ des Menschen sind eben jene Emotionen und natürlich auch noch sein Denk- und Wahrnehmungsvermögen, was ein Mensch niemals gegen sich selbst wenden sollte. Schluss mit der Negativierung des Fühlens! Her mit einem tieferen emotionalen Verstehen, einer emotionalen Kultivierung und einem darauf gründenden Mit-fühlen in allen vier Formen der Bewegtheit.
Wenn wir einem weinenden Flüchtlingskind begegnen oder wenn eine ganze Gruppe von Menschen „Deutschland“ skandiert, so berührt uns das unmittelbar. Wir möchten das Kind in den Arm nehmen und die rufende Gruppe nicht enttäuschen und deren Hoffnung in Freude umwandeln. Wir sind freudig und traurig bewegt und wir möchten die Helden eines Märchens sein.
Ein Kind ist immer der Inbegriff von Wachstumsmöglichkeit und damit Hoffnung. Das Land des „Kindergarden’s“ kann da nicht wegschauen, genauso wenig wie das Land, das sagt, dass „Bildung“ aller möglich ist und auch mit diesen Menschen etwas Neues „Gebildet“ werden kann. Die Menschen, die „Deutschland“ rufen, scheinen hoffnungsvoll, entschlossen und offen zu sein und das weckt auch bei den Deutschen die Hoffnung auf gute und herzliche Begegnung. Es darf gehofft werden, dass es dem folgend eine tatsächliche Integration dieser Menschen gibt und keine weitere Parallelgesellschaft. Diese Menschen dürften von ihrem politischen System und durch den Terror des Islamistischen Staates ziemlich desillussioniert sein und dadurch offen für Neues. Ist die Haltung diesen Menschen gegenüber jetzt nur eine kurzfristige Gefühlsansteckung, emotionalisiert durch kurzfristige Bilder? Nein, es kann mindestens von einem Mit-Gefühl gesprochen werden, weil die Deutschen genügend Vorerfahrung mit Vertreibung, Ausgrenzung und Unterdrückung haben. Eine tatsächlich mit-fühlende Zuwendung gründet sich auf eigene Erfahrungen und ein breiteres Wissen und diese Zuwendung wird morgen nicht schon wieder vorbei sein. Eine kurzfristige Gefühlsansteckung läge darin, „Mit-Leid“ mit einem angespülten Kind zu haben und dann reflexhaft aufzuheulen und ein paar Lippenbekenntnisse abzugeben.