Mitgefühl statt monologische Reihung

Wie Freund-schaft wirklich „Freude schafft“
Die vier Formen des Mitgefühls – freudiges, trauriges, ängstliches und wütendes Mitschwingen

Die Wortbedeutung des Wortes „Freund-schafft“ kommt sicherlich nicht von ungefähr. Es ist die Freundschaft, die uns die größte Freude verschafft. Damit sich zwei Menschen miteinander wirklich wohl fühlen, bedarf es einer wirklich guten wechselseitigen Zuwendung. Eine wirklich mitfühlende FreundIn hat einen enormen Wert. Mit welcher FreundIn fühlt ihr euch am wohlsten und warum ist das so? Dieser Frage wollen wir heute nachgehen.

Welche Formen des Mit-fühlens gibt es denn eigentlich. Um dies zu erhellen, will ich verschiedene Beispiele anführen.
Jedes der folgenden Beispiele beschreibt, wie Man es nicht so gut macht und wie Frau es besser machen kann.
Anna hat in den letzten Jahren immer nur zeitlich befristete Verträge bekommen. Je älter Anna wird umso belastender erlebt sie diese zeitliche Befristung. Vor zwei Tagen hat sie nun aber ein Angebot für eine Festanstellung bekommen. Sie ist total erleichtert und kann auch wieder besser schlafen. Sie freut sich darauf, dies ihrer besten Freundin Lena zu erzählen und ihre Freude mit dieser zu teilen. Leider hat Lena gar nicht freudig reagiert sondern nur schweigend zugehört. Was ist der Grund dieses Schweigens? Lena ist seit Monaten sehr mit ihrer Beziehung zu Stefan beschäftigt und in einer traurigen, bisweilen auch ängstlichen Stimmung. Ein freudiges Mitschwingen mit Anna ist ihr deshalb heute überhaupt nicht möglich. Lena erzählt Anna – wie schon so oft – davon, wie es ihr mit ihrem Freund geht und wie wenig dieser auf sie eingeht. Anna hört wie immer zu und stellt sich voll auf Lena ein, um ihr bestmöglich zu helfen. Sie hat bereits vergessen, wie sehr sie sich eigentlich freut und dass sie diese Freude mit Lena teilen wollte. Anna versucht Lena zu beschwichtigen, dass Stefan momentan bestimmt nur eine schwere Zeit hat und dann wieder mehr auf sie achtet. Auch wenn Anna scheinbar mitfühlend mit Lena reagiert, ist sie insgeheim genervt, weil es bereits seit einem halben Jahr in den Gesprächen mit Lena immer wieder um die gleichen Probleme mit Stefan geht, die unlösbar erscheinen.

>Wie sähe freudiges Mitschwingen aus?<

Auch wenn Lena momentan nicht nach Freude zumute ist, so wäre es sehr gut, wenn sie sich zumindest um eine Anteilnahme mit Anna bemühen würde. Wenn Lena sich für das Leben von Anna interessieren würde, so wüsste sie, wie wichtig der feste Vertrag für Anna ist.
Leider fällt es uns Menschen sehr schwer, uns von unserer eigenen Befindlichkeit zu lösen und auf die Stimmung eines anderen Menschen einzustellen. Für Psychotherapeutinnen ist das eine tägliche Übung, ihre eigene Befindlichkeit zurückzustellen und ganz auf die Klienten einzugehen. Diese therapeutische Haltung ist aber auch in normalen Freundschaften sehr hilfreich.
In einer guten Freundschaft sollte Zeit sein für die Gefühle beider und dies aber unbedingt nacheinander und nicht gleichzeitig. Sonst entsteht etwas, das man als eine monologische Reihung bezeichnen kann. Jeder erzählt nur seins und keiner geht auf den anderen ein.
Für die Freundschaft von Anna und Lena wäre es sehr wichtig, wenn also zunächst Lena eine Zuwendungsleistung vollbringt und sich durch die Einfühlung in Annas Situation, sich mit dieser tatsächlich ein bisschen mit-freut. Wenn Lena jedoch aufgrund ihrer Lebenssituation überhaupt nicht mehr freudig schwingen kann, so wäre es notwendig, den Zugang zur Freude wiederzugewinnen. Ansonsten ist Lena in keiner ihrer Freundschaften mehr zum freudigen Mit-Fühlen in der Lage.
Leider sind die meisten Menschen nur wenig emotional entwickelt und das heißt z.B. dass sie kaum oder nur oberflächlich freudig bewegt werden. Ein Lächeln bedeutet leider noch lange nicht, dass jemand tatsächlich freudig bewegt ist. Erst wenn ein Mensch sehr guten Zugang zur Freude hat, ist es ihm möglich, sich auch auf eine Ausgelassenheit einzulassen. Eine Freundschaft sollte in erster Linie eines: Freude schaffen. Der Name „Freund-schafft“ sollte Programm sein.

Wie sähe nun das umgekehrte Eingehen von Anna gegenüber Lena idealerweise aus?
Da Lena eher traurig ist, käme es hier auf ein trauriges Mitfühlen an.
Anna könnte zu Lena sagen: „Ich sehe wie traurig Du bist. [Pause] Du hast allen Grund dazu, wenn ich bedenke, was Du schon alles von Deiner Beziehung erzählt hast. [Pause] Ich kann Deine Sehnsucht nach einer einfühlsamen Bezugnahme sehr gut nachvollziehen. Ich würde Dich jetzt gerne einmal in den Arm nehmen. [Umarmung]. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du Dich selbst in Deinen Tränen und Deiner Traurigkeit mögen kannst. [Pause]. Ich danke Dir für Deine Offenheit. [Pause]. Danke auch, dass ich Dir in Deiner Traurigkeit nahe kommen darf.“
Wer redet so? Vermutlich niemand – aber vielen würde diese Anteilnahme gut tun. Es gibt allerdings leider auch sehr viele Menschen, die sich mit einer solchen Zuwendung unwohl fühlen, unter anderem deshalb, weil sie damit keine Erfahrung haben.
Wenn Lena dieses traurige Mit-Fühlen von Anna wirklich an sich heranlassen könnte, so würden damit ihre Bedürfnisse nach Nähe, Gesehen-Werden und Wert-schätzung ein bisschen erfüllt. Sie wäre dadurch nicht mehr so dringend darauf angewiesen, dass diese Bedürfnisse von ihrem Freund erfüllt werden. Die Anteilnahme durch ein trauriges Mitschwingen schafft die größte emotionale Nähe zwischen Menschen. Das ist deshalb so, weil die Traurigkeit das Brauchen betont und eine Zuwendung zu diesem Brauchen einen Teil der Bedürftigkeit stillen kann, so z.B. den Wunsch nach Nähe und Verstanden-Werden. Nichts lässt einen traurigen Menschen mehr bei sich ankommen und auch Frieden finden als die Haltung, dass er dies sein darf.

Welche weiteren beiden Formen des Mit-Gefühls gibt es nun noch? Es gibt noch zwei weitere ganzkörperliche Bewegtheiten, die unbedingt unser Verständnis und unser Wohlwollen erfordern.
Betrachten wir uns dazu die momentan schlechte Bezugnahme zwischen Lena und ihrem Freund Stefan an einem Beispiel.
Stefan kommt von der Arbeit nach Hause und ist mal wieder genervt. Seine Unzufriedenheit liegt in der Situation am Arbeitsplatz begründet. Lena empfindet die Wut von Stefan jedoch als gegen sie gerichtet. Tatsächlich ist Stefan häufig pampig in seinen Bemerkungen. Er ist so mit sich selbst beschäftigt, dass er kaum auf Lena eingeht und wenn er es doch tut, so ist er kaum einfühlsam. Lena lässt sich regelmäßig von der Wut Stefans anstecken und reagiert mit einer nahezu automatischen Gegenwut. Ein Wort gibt das andere und ein Streit ist vorprogrammiert.
Was wäre, wenn Lena der Gereiztheit ihres Freundes mit Verständnis begegnet?
Lena könnte in etwa Folgendes sagen: „Hey Stefan, Du bist ganz schön geladen [ohne Bewertung, in ruhigem Ton]. Bestimmt bist Du wegen der Situation in der Arbeit so unter Strom. Erzähl mir davon. [Bereitschaft, sich auf seine Seite zu stellen]. [Nach einiger Zeit, in der Stefan sich auskotzen konnte] Lass uns nun überlegen, was Du dort verändern kannst – mit der Kraft Deiner Wut [Wertschätzung der Wut].“
Nichts beruhigt einen wütenden Menschen mehr, als wenn ihn jemand verständnisvoll und wohlwollend wahrnimmt, den Grund seiner Kampfeslust tatsächlich versteht und sich auf seine Seite stellt um mit ihm auf einer Seite zu stehen. Wenn Lena gemeinsam mit Stefan wütend wäre, z.B. gegenüber einer unfairen und abwertenden Behandlung am Arbeitsplatz, so würde das eine Nähe zwischen den beiden erzeugen. Wenn Lena die Wut Stefans grundsätzlich ablehnt, weil sie Wut „nicht schön“ findet, so ist sie nicht zu einem wütenden Mit-Gefühl in der Lage. Ihre Wut ist eine Gegenwut und ein Gegen-Gefühl statt ein Mit-Gefühl zu sein.
Ein „Mit-Gefühl“ bezeichnet immer das Mit-Fühlen mit einem Menschen in einem „Gefühl“, das tatsächlich in einem körperlichen Zustand besteht. Als vierte und letzte ganzkörperliche Bewegtheit, die eine Mit-Bewegtheit – ein Mit-Gefühl – ermöglicht und erfordert, fehlt nun noch. Es ist die Angst. Nehmen wir erneut die Bezugnahme zwischen Stefan und Lena als Beispiel, wie ein Mit-Fühlen sein kann und wie es nicht sein sollte.
Diesmal tauchen wir noch mehr ein in die Komplexität der Bezugnahme und in die Gefühlswelt zwischen Mann und Frau.
Lena hat Angst, dass Stefan sich körperlich auf eine andere Frau einlassen könnte. Sie sieht die körperliche Bezugnahme und ihre eigene körperliche Attraktivität als das einzige Mittel an, um einen Mann – Stefan – an sich zu binden und seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Da jedoch Stefans körperliches Interesse an ihr nachgelassen hat, denkt sie, dass es ja leicht sein könne, dass eine der vielen Frauen, von denen sie meint, dass diese hübscher seien als sie, das Interesse von Stefan wecken. Lena ist die meiste Zeit ihres Lebens nur noch ängstlich. Sie kommt nur noch schwer zur Ruhe, schläft schlecht und ist schreckhafter geworden. Aus ihrem körperlichen Zustand der Angst heraus, sieht Lena mehr Gefahren, wie z.B. attraktive und dadurch beziehungsgefährdende Frauen. Sie hat mittlerweile auch mehr Angst vor Dingen, die ihr früher allenfalls unangenehm waren, wie z.B. U-Bahnfahren. Sie hat begonnen, das Handy ihres Freundes zu kontrollieren. Stefan kann die Angst von Lena nun gar nicht verstehen, da er aus seiner Sicht alles tut, was er meint, dass es ein guter Partner tun sollte. Er macht gelegentlich Geschenke, trifft keine anderen Frauen, macht hin und wieder Komplimente und hört manchmal sogar zu. Auch wenn er tödlich gelangweilt ist, ringt er sich immer wieder zu einem zustimmenden Grunzen durch. Aus seiner Sicht macht er also alles bestens. Wieso hat sie denn Angst und kontrolliert ihn, da er doch genügend Beziehungssignale gibt. Er hat so gar keine Angst um sie – wieso hat sie dann Angst um die Beziehung? Das ist ihm rätselhaft und er lehnt deshalb ihre Angst ab und ist der Meinung, dass dies wohl krankhaft sein müsse.
Wie würde sich Stefan richtig und ängstlich mitfühlend verhalten? Um die Angst Lenas zu verstehen, bräuchte Stefan eine tiefergehende Vorstellung davon, wie gute Bezugnahme aussehen kann. Erst mit einer wirklich mit-fühlenden und auch guten gedanklichen Bezugnahme, die über ein zustimmendes Grunzen weit hinausgehen sollte, würde es zu einer spürbaren gedanklichen und emotionalen Nähe zwischen Lena und Stefan kommen. Erst eine solche Nähe kann eine Beziehungssicherheit und vor allem Beziehungsfreude erzeugen. Dadurch würde die Angst von Lena auf das notwendige Minimum zusammenschrumpfen. Damit Stefan ängstlich mit Lena mitfühlen könnte, müsste er den ängstlichen Zustand kennen und auch wissen, wie beängstigend eine unsichere Bezugnahme ist. Das kann man aber erst wissen, wenn man eine Vorstellung davon hat, wie gute Bezugnahme überhaupt aussieht. Stefan müsste in etwa Folgendes sagen, um ein ängstliches Mit-gefühl zu signalisieren: „Liebe Lena, du bist beunruhigt, weil Du nicht genug Beziehungssignale von mir siehst. Du bist deswegen aufgeregt, kannst nicht mehr so gut schlafen und siehst überall Gefahren durch andere Frauen. Auch wenn ich meine, dass Du keine Angst zu haben bräuchtes, will ich versuchen, Dir mehr Beziehungssignale zu geben, damit Du zur Ruhe kommen kannst und unsere Beziehung nicht mehr gefährdet siehst. Ich will versuchen, Dir Deinen Wert für mich vor Augen zu führen.“
Jede Leserin weiß, dass es nahezu unrealistisch ist, dass jemand so spricht. Es wäre aber sehr gut, wenn jeder Mensch ein solches emotionales Verständnis hätte, um entsprechend mit-fühlend sein zu können.
Bisher gibt es keine allgemein akzeptierte Definition des „Wertes“ eines Menschen, so wie auch die „Würde“ des Menschen (per Grundgesetz) zwar jedem zusteht aber nicht genauer definiert ist.  In aller Kürze soll nun am Ende der Ausführungen zumindest eine kleine Arbeitsdefinition des menschlichen Wertes stehen. Der „Wert“ eines Menschen ist eine subjektive Bewertung durch einen Beziehungspartner und diese gründet darauf, wie gut dieser seine Gedanken und Gefühle teilt.
Jedes „Mit-Fühlen“ und damit teilen von Emotionen erfordert zum Einen ein Verstehen, was Freude, Traurigkeit, Wut oder Angst entstehen lässt und zum Anderen die Bereitschaft, in der jeweiligen Bewegtheit mitzuschwingen. Mit einer ablehnenden Haltung wegen einer prinzipiell negativen Sicht auf Traurigkeit, Wut oder Angst, ist das nicht möglich und versperrt den Weg dazu, entsprechend mitzufühlen.
Da Liebe nun darin besteht, sich gedanklich und emotional nah zu sein, ist die negative Sicht auf die Emotionen der Liebeskiller schlechthin.
Was wir Menschen deshalb alle benötigen ist eine Ent-Negativierung der Emotionen.