Emotionale Entwicklung

Die vier Formen des Mit-Gefühls

Ein Mitgefühl mit einem Gegenüber zu haben, erfordert es, tatsächlich mitzufühlen und zumindest ansatzweise mitzuschwingen. Da nur die vier emotionalen Grundzustände eine deutliche Körperveränderung und damit verhaltensaktivierende Bedeutung haben, gibt es folgerichtig auch vier Formen mitzufühlen. Was Menschen im täglichen Sprachgebrauch mit Mitgefühl bezeichnen, ist üblicherweise das traurige Mitfühlen also das Mitgefühl mit jemanden, dem etwas Bedauerliches widerfahren ist.  Darüber hinaus gibt es aber auch ein wütendes Mitfühlen, ein freudiges Mitfühlen und ein ängstliches Mitfühlen. Beim Mitfühlen ist es entscheidend, dem Gefühl eines anderen Menschen prinzipiell wohlwollend zu begegnen. Dazu ist es erfoderlich, jede der vier Emotionen in ihrem Entstehungszusammenhang und auch in ihrer Wirkungsentfaltung und Bedeutung zu kennen. Erst, wer eine Emotion nicht negativ sieht und außerdem weiß, wie sie sich anfühlt, wird mitschwingen können und ist auch bereit, dies zu tun. Ein verständnisvolles Gegenüber ermöglicht uns den Einklang mit uns selbst und die Entfaltung einer freien ungehemmten Reaktion. Erst wenn wir in unserem Fühlen oder Denken sein dürfen, können wir einen Gedanken weiterentwickeln oder einem Gefühl Raum geben. Ein verständnisvolles – mitdenkendes und mitfühlendes – Gegenüber, erschafft einen Raum, in dem wir unser Menschsein – denkende und bewusst fühlende Wesen zu sein – zur Entfaltung bringen können. Wenn wir durch ein Gegenüber inspiriert sind und uns entfalten können, so ist es gut möglich, dass wir angefüllt sind mit Gedanken/Ideen/Vorstellungen oder auch erfüllt werden mit einem körperlichen Zustand. Wir Menschen streben nach Erfüllung und die liegt eben genau darin, nämlich angefüllt und erfüllt zu sein durch Gedanken und Gefühle. Besonders Freude und Traurigkeit sind erfüllend, weil sie entschleunigen und weiten. Beschleunigung, Anspannung und Verengung – als Angst oder als Wut – sind nur erfüllend, wenn sie ein bestimmtes Mass nicht überschreiten und das zwischenmenschliche Geschehen nicht dominieren.

Trauriges Mitfühlen: Das traurige Mitschwingen setzt voraus, sich auf  Traurigkeit und damit auf den körperlichen Zustand von Erschlaffung und Verlangsamung einzulassen und außerdem bereit zu sein, bedächtig und innerlich in die Tiefe zu schauen, was das traurige Gegenüber vermutlich braucht. Ohne eine ungefähre Kenntnis davon, was wir Menschen zwischenmenschlich benötigen (gesehen werden, verstanden werden, Wertschätzung, Zugang zur Freude), wird es schwer, den Mangel auch zu sehen, der zur Traurigkeit führt. Erst, wenn jemandem der Zusammenhang der Traurigkeit mit dem zwischenmenschlichen Mangel vor Augen steht, wird derjenige der Gefühlsreaktion auch mit Verständnis begegnen und sich dem folgend eventuell auch auf den körperlichen Zustand einschwingen. In einer gemeinsamen Traurigkeit – bei gleichzeitigem Wissen um das, was gebraucht und damit erwünscht und ersehnt wird – liegt die größte Nähe, die zwischen Menschen möglich ist. Wenn das, was ersehnt wird, auch erreichbar ist – und die zwischenmenschliche Bezugnahme ist ja eben gemeinsam gestaltbar – so scheint auch durchaus eine Freude mit hinein. Ansonsten überwiegt der Zweifel und wir landen in der Verzweiflung.

Freudiges Mitfühlen: Ein freudiges Mitfühlen setzt voraus, der Freude eines Gegenübers folgen zu wollen und auch folgen zu können. Um folgen zu können, muss man selbst einen guten Zugang zur Freude haben. Leider ist die Freude bei nur wenigen Menschen bis zu einer bewussten Ausgelassenheit verankert. Wenn die körperliche Reaktion selbst nur wenig ausgelöst wird, so kann ein Mensch entsprechend auch nur wenig mitfühlende Freude entwickeln. Um folgen zu wollen, muss man der freudigen Bewegtheit eines Gegenübers eine Berechtigung zusprechen, also der Meinung sein, dass es tatsächlich begründet ist, sich zu freuen. Wenn es im eigenen Leben nur wenig Grund zur Freude gibt, so wird es zusätzlich schwer, die Freude eines Beziehungspartners mitzufühlen. Eine geteilte Freude steigert die Freude bei den Teilenden und schafft Nähe und eventuell auch ein Gefühl des Wertes, das Selbst-Wert-Freude-Gefühl. Wenn sich jemand über unsere gedankliche oder emotionale Bezugnahme freut, so zeigt er damit, dass wir für ihn wertvoll sind. Die freudige Reaktion eines anderen Menschen auf uns spiegelt somit unseren Wert wider, und dies darf uns anstecken bzw. freudig mitreißen. Es ist durchaus auch geboten, dem tatsächlich auch sprachlich Ausdruck zu verleihen, den Wert klar zu benennen und damit die Freude noch zu steigern. Der Zustand der Freude als ein Zustand der Leichtigkeit, Beweglichkeit, Offenheit und Weite schafft eine Gelöstheit, die Menschen miteinander auch zur Ruhe kommen lässt. Dies schafft Zufriedenheit und damit Frieden und Harmonie.

Wütendes Mitfühlen: Ein wütendes Mitfühlen erfordert es unter anderem, die Wut eines anderen Menschen als berechtigt anzusehen. Da die Wut eines Menschen sehr vielfältige Ursachen haben kann, ist die wütende Reaktion eines Menschen oft nur durch das aktuelle Geschehen ausgelöst, jedoch an anderen Stellen entstanden. Erst, wenn man dies weiß und bedenkt, ist man bereit, die Wut eines anderen Menschen gelten und bestehen zu lassen, auch, wenn sich dessen Wut auf uns richtet. Nichts ist schwieriger, als einem ungerechten und übertriebenen Vorwurf mit Gelassenheit zu begegnen und den berechtigten Gehalt sachlich herauszulesen. Wenn es klar wird, wogegen ein Mensch kämpft, was ihn einengt, was er als ungerecht ansieht und worin er nicht gesehen und wertgeschätzt wird, so wird damit auch begreiflich, warum er wütend ausgelenkt ist und aus dem heraus schneller auf scheinbar Belangloses wütend reagiert. Wenn wir nun also die Wut eines Gegenübers verstehen können, so ist es außerdem erforderlich, uns nicht an dem wütenden Ausdruck zu stören und uns im besten Fall auf die Seite desjenigen zu stellen und mit ihm gemeinsam wütend zu sein. Die gemeinsame Wut sollte sich auf das richten, was tatsächlich einer Veränderungskraft bedarf. Die wütende Einigkeit kann also nicht nur Nähe und Verbindung schaffen, sondern es ist außerdem möglich, dass man tatsächlich gemeinsam etwas “angreift” und zum Besseren verändert. Ein Beispiel für eine gemeinsame Wut ist das Lästern, das unbedenklich ist, sofern es niemandem schadet, indem es z. B. ausschließt oder abwertet.

Ängstliches Mitgefühl: Ein ängstliches Mitgefühl besteht z.B. darin, eine Sorge zu teilen. Es kann aber auch schon als ängstlich mit-fühlend eingeordnet werden, einer Dünnhäutigkeit wohlwollend zu begegnen und eine vergrößerte Achtsamkeit wertzuschätzen. Ein weiteres Beispiel für einen zumindest verständnisvollen Umgang ist es, einem gehemmten oder einem unsicheren Menschen beizustehen statt den Kopf zu schütteln. In einem verängstigten bzw. verengten Zustand sind Menschen verschlossen und damit nicht offen. Wenn die Wahrnehmung in ihrer Gesamtheit verengt ist, so ist es nicht sinnvoll, einen solcherart ängstlich ausgelenkten Menschen unter Druck zu setzen oder Offenheit zu erwarten. Mitgefühl als Einfühlsamkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, eine angstfreie Atmosphäre zu erzeugen und jeden Druck herauszunehmen. Es gilt auch beim ängstlichen „Mitfühlen“, dass es verbindend wirkt, wenn man dem körperlichen Zustand des verängstigten Menschen zumindest ein bißchen in Gestus und Mimik folgt.